Umweltbewußte Produktgestaltung
Jens Leverkühne

Im Dezernat Ökologische Stoff- und Abfallwirtschaft der Abteilung Abfall/Immissionen werden Konzeptionen und Strategien zur Vermeidung und Verwertung von Abfällen entwickelt sowie entsprechende fachliche Grundlagen erarbeitet. Dabei liegt der Schwerpunkt im Bereich vorsorgender Umweltschutzstrategien, die die Umweltbelastungen bereits an der Quelle vermeiden.

Abfallvermeidung - ein Weg zur nachhaltigen Stoffwirtschaft

Auf der Umweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro wurde das Leitbild einer nachhaltigen Wirtschaftsweise geprägt, die es ermöglicht die Bedürfnisse heutiger Generationen zu befriedigen, ohne die der zukünftigen Generationen zu gefährden. Dieses Ziel ist längerfristig nur über deutliche Reduzierungen des Material- und Energieverbrauches auf allen Ebenen des Wirtschaftens und der Produktion zu erreichen. Ein wesentlicher Baustein für eine nachhaltige Stoffwirtschaft ist die Abfallvermeidung. Über Veränderung von Produkten, Produktion, Logistik und Konsumverhalten will sie eine möglichst weitgehende Ressourcenschonung und Schadstoffminimierung erreichen.

Tagtäglich werden Ressourcen in einem Ausmaß verbraucht, das für die Verbraucherinnen und Verbraucher meist nicht ersichtlich ist. So hat ein Produkt, sei es ein Fernseher, ein Kugelschreiber oder eine Fertigsuppe in der Regel eine lange Vorgeschichte bevor es den Verbraucher erreicht. Für die Herstellung wurden Rohstoffe gewonnen, transportiert, veredelt, weitertransportiert, Vorprodukte gefertigt und letztlich zu einem Gesamtprodukt montiert. Der Verbraucher nutzt das Produkt und gibt es anschließend zur Entsorgung.

Auf allen Stufen dieses Produktlebensweges werden Stoffe ein- und umgesetzt. Es entstehen Abprodukte in Form von Lärm, Abluft, Abwärme, Abwässern und Abfällen. Erst eine umfassende Betrachtung dieser Stoffflüsse ermöglicht es, wesentliche Schwachstellen zu erkennen und abzubauen.

Dabei geht es darum, Produkte effizienter, und damit auch abfallärmer, herzustellen sowie neue Strategien der Bedarfsdeckung zu entwickeln. Dies gelingt um so erfolgreicher, je früher Umweltschutzkriterien in den Gestaltungsprozeß von Produkten einbezogen werden. Eine umweltbewußte Produktgestaltung wägt die Auswirkungen von Alternativen auf den Stufen Rohstoff- gewinnung, Herstellung, Vertrieb, Gebrauch und Entsorgung von Produkten gegeneinander ab und stimmt sie mit den übrigen Anforderungen der Gestaltung wie Kosten, Funktionalität und Akzeptanz beim Kunden ab.

Strategien einer umweltbewußten Produktgestaltung

Je nach Art des Produktes eröffnet diese Sichtweise vielfältige Ansatzstellen zur ökologischen und auch ökonomischen Produktoptimierung.

Bedarfsprüfung

Die in diesem Zusammenhang ungewöhnlichste und für viele nur schwer nachvollziehbare Fragestellung ist, ob der mit dem Produkt bezweckte Nutzen auf eine andere material- und/oder energiesparende Weise, erreicht werden kann. Das kann dazu führen, daß das Produkt überhaupt in Frage gestellt wird. Eine Aufgabe, die die Kreativität der Produktentwickler fordert und zugleich innovative Lösungsansätze hervorbringt.

Auf den ersten Blick scheint es klar: zum Faxen ist ein Faxgerät, zur Teppichreinigung ein Staubsauger erforderlich. Aber ist dies wirklich immer so?

So ist es zum Beispiel möglich, einen mechanischen Teppichreiniger zu konstruieren, der in Leistung und Handhabung mit elektrischen Staubsaugern konkurrieren kann und obendrein in seiner Herstellung weit weniger Materialaufwand erfordert.

Ein anderes Beispiel gibt es im Verpackungsbereich: Produkte werden in Luft verpackt. Kunststoffolien, die zu stapelbaren, wiederverwendbaren Luftkissen aufgeblasen werden, bieten eine materialsparende Alternative bei Transportverpackungen.

Weitere Einsparmöglichkeiten bieten sogenannte Multifunktions- geräte. Im Elektronikbereich gibt es zum Beispiel ein Gerät mit dem gefaxt, gedruckt und kopiert werden kann.

Außerdem gibt es die Möglichkeit, eine Vielzahl vorhandener Produkte optimaler auszulasten. Durch entsprechende Angebote zum Teilen und Mieten von Waren, wie Leasing, Carsharing wird ein nutzenorientierter Konsum unterstützt. Für den Hersteller steht dann nicht mehr primär der Verkauf eines Produktes im Vordergrund, sondern er muß Interesse an einem entsprechenden Dienstleistungsangebot haben. Anstelle neuer Kopiergeräte wird zum Beispiel die Dienstleistung Kopieren verkauft. Aus wirtschaftlichen Gründen setzt der Hersteller dann auf entsprechend langlebig konstruierte Geräte.

Lebensdauerverlängerung

Durch langlebige Produkte läßt sich der Materialeinsatz bei gleichbleibender Bedarfserfüllung reduzieren. Vereinfacht läßt sich diese Strategie auf die Formel bringen: Doppelte Lebensdauer, halber Materialverbrauch. Dies kann durch entsprechend haltbare, verschleißarme Materialien und Konstruktionen erreicht werden. Zum Beispiel durch Auswahl korrosionsbeständiger Materialien, robuste Oberflächen oder ein Design, das Kratzer verträgt.

Weitere Voraussetzungen für Langlebigkeit sind gute Pflege und Wartung, Reparierbarkeit, Einplanen einer Nachrüstbarkeit bei technischen Neuerungen durch Modulbauweise und Kombinierbarkeit mit anderen Systemen.

Optimiertes Materialmanagement

Die Optimierung des Materialmanagements hat einen möglichst sparsamen Materialeinsatz und die Vermeidung von Materialverlusten zum Ziel.

Schon bei der Planung eines Produktes wird daher Wert darauf gelegt, daß Bearbeitungsverfahren angewandt werden, die möglichst geringe Emissionen verursachen und verbrauchsarm arbeiten. Beispielsweise ist seit längerem bekannt, daß bei Lackierungen durch eine Pulverbeschichtung anstelle eines herkömmliches Sprayverfahrens sowohl die Menge des eingesetzten Lackes als auch der Lackierabfälle reduziert werden kann. Hier sind unter anderem die Möglichkeiten einer anlageninternen Kreislaufführung von Stoffen und der Wiedergewinnung von Rohstoffen zu prüfen. Darüber hinaus lassen sich durch gestalterische Maßnahmen Abfälle beim Zuschnitt von Einzelteilen aus einem Grundmaterial, zum Beispiel einem Stahlblech, reduzieren. Ferner geht es darum, die Ausschußrate fehlerhafter Teile zu minimieren.

Ein weiterer Aspekt des Materialmanagements sind die Transportvorgänge. Zur Reduzierung von Transportaufwendungen sollte das Produkt möglichst so konzipiert werden, daß möglichst viele der nötigen Roh- und Hilfsstoffe aus der näheren Umgebung angeliefert werden können. Für die Herstellung eines Erdbeerjoghurts werden beispielsweise Transportwege bis zu 8000 km zurückgelegt. Durch Auswahl regionaler Zulieferer ließe sich dieser Aufwand reduzieren.

Materialqualität

In der Diskussion um umweltgerechte Produkte spielt die Materialauswahl eine wichtige Rolle. In den vergangenen 20 Jahren wurde unter diesem Aspekt vornehmlich der Einsatz sekundärer Rohstoffe untersucht. Zahlreiche Forschungs- und Entwicklungs- vorhaben beschäftigen sich damit. Zum Beispiel wird untersucht, wie sich der Altglaseinsatz in der Bildröhrenherstellung von Fernsehern optimieren läßt.

Ferner gibt es seit längerem eine Richtlinie des Verbandes deutscher Ingenieure Konstruieren recyclinggerechter technischer Produkte (VDI-Richtlinie 2243). Sie umfaßt die Anforderungen, die solche Produkte erfüllen müssen wie begrenzte Materialvielfalt, Vermeidung von Verbundwerkstoffen und nicht lösbaren Verbindungen, Kennzeichnung der verwendeten Stoffe, leichte Demontierbarkeit. Außerdem gibt sie Hinweise zur Planung und Organisation bei der Herstellung aufbereiteter Produkte.

Dem Recycling sind jedoch technologische und wirtschaftliche Grenzen gesetzt. Papier läßt sich zum Beispiel nicht beliebig oft wiederverwenden, da mit jedem Umlauf die Papierfasern kürzer werden. Und die Aufbereitung gemischter Kunststoffabfälle ist bis heute unwirtschaftlich.

Qualitativ gesehen sollte auf umwelt- und gesundheitsgefährdende Materialien verzichtet werden. Ferner ist darauf zu achten, daß die Einsatzstoffe möglichst umweltschonend hergestellt und vorbehandelt wurden.

Dabei geht es allerdings nicht darum, bestimmte Materialien, zum Beispiel Kunststoff, pauschal zu verurteilen. Letztlich ist immer das gesamte Produkt unter Berücksichtigung seiner Gebrauchs- und Nutzungsqualitäten über seine ganze Lebensdauer zu bilanzieren. So zeigen lebenswegbezogene Untersuchungen verschiedener Verpackungsvarianten für Frischmilch, daß der Poly-Ethylen- Schlauchbeutel ökologisch durchaus mit Mehrwegsystemen aus Glas vergleichbar und unter bestimmten Bedingungen sogar überlegen ist.

Abfall- und Emissionsvermeidung

Nicht zuletzt sollte auch die Verwendung und Entsorgung des Produktes bereits bei der Gestaltung durchdacht werden. So gilt es, Material- und Energieverbrauch sowie entstehende Abfallmengen und Emissionen abzuschätzen und durch geschickte Gestaltung zu minimieren. Hier spielt zum Beispiel die Reduzierung des nötigen Reinigungsaufwandes oder des Verbrauchs an Betriebsmitteln wie Treib- oder Schmierstoffen eine Rolle.

Ferner ist es möglich, schon durch die Produktgestaltung den späteren Verpackungsaufwand für den Transport zu reduzieren. Ein Aspekt ist dabei die Gestaltung der Produktoberflächen. Strukturierte Oberflächen sind beispielsweise weniger empfindlich als hochglanzpolierte und benötigen weniger Schutz und damit weniger aufwendige Verpackungen.

Daß umweltgerechte Produktgestaltung nicht nur "graue Theorie" ist, zeigen viele praktische Beispiele. Eines ist die Mischarmatur am Waschtisch, die wir jeden Tag benutzen. Herkömmliche Armaturen werden aus Messingguß hergestellt. Einem Verfahren, das aufwendige Nachbearbeitung durch Schleifen, Verchromen und Polieren nötig macht. Damit verbunden sind Umweltprobleme wie Gießereisandabfall, Galvanikabwässer, Polierwatteabfall. Durch Wahl eines anderen Werkstoffes und eines anderen Herstellungsverfahrens kann der Gußvorgang entfallen und der Polieraufwand verringert werden. Ein neues Konzept sieht die Verwendung von Edelstahl vor. Durch Tiefziehen, einem Verfahren, das bei der Herstellung von Karosserien im Fahrzeugbau Verwendung findet, werden zwei Edelstahlhalbschalen hergestellt und dann miteinander verschweißt. Letztlich muß nur noch die Schweißnaht, nicht aber das ganze Werkstück poliert werden.

Die nachfolgende Abbildung zeigt die erreichten Umwelt- entlastungen. Zur Analyse und Bewertung der Umweltbelastungen wurde das Verfahren der Ökobilanz angewendet. Dabei werden die wesentlichen Material- und Energieflüsse entlang des Lebensweges erfaßt und hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen in sogenannten Wirkungskategorien wie Treibhauseffekt, Ökotoxizität oder Abfall bewertet.

In der Abbildung ist deutlich die zuvor beschriebene Abfallreduzierung zu erkennen.

Vergleich zweier Mischerarmaturenkonzepte mittels Ökobilanzierung Quelle: Abfallwirtschaftlicher Informationsdienst 2/97

Mischerarmaturen im Vergleich
(Zum Vergrössern bitte die Grafik anklicken)

Beitrag des LANU

Es gibt verschiedene Institutionen, die Konzepte und Methoden zur Produktgestaltung entwickeln. Die beschriebenen Beispiele zeigen, daß sie Eingang in die Produktentwicklung gefunden haben. Auch in Schleswig-Holstein gibt es Unternehmen, die auf diesem Gebiet erste Erfolge erzielen konnten.

Das Landesamt für Natur und Umwelt unterstützt diesen Prozeß durch einen gezielten Informationsaustausch. Über diese Fachgespräche hinaus wurde das Thema Produktgestaltung auch auf der vom Landesamt durchgeführten Veranstaltung zur ökologischen Abfallwirtschaft der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt.

Für die Umsetzung weitergehender Strategien fehlen vielen Akteuren nicht nur Informationen sondern auch einfach handhabbare Werkzeuge zur ökologischen Bewertung einzelner Maßnahmen. Um möglichst viele der genannten Aspekte in die Produkt- entwicklung einfließen zu lassen, müssen Designer, Produktions- und Marketingfachleute eng zusammenarbeiten. Darüber hinaus sind schnell verfügbare Informationsquellen und entsprechender Sachverstand erforderlich, um diese Informationen im speziellen Anwendungsfall auf ihre Relevanz zu prüfen.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LANU erarbeiten derzeit ein Konzept zur Verbesserung des Informationsaustausches, mit dem Ziel ein Beratungsprogramm zur umweltbewußten Produkt gestaltung in Schleswig-Holstein aufzubauen. Auch wenn sich aus verschiedenen Gründen nicht immer die ganze Bandbreite der gezeigten Strategien umsetzen läßt, wäre bereits die breitere Anwendung und Weiterentwicklung einzelner Teilstrategien ein Erfolg. Sie bilden eine Grundlage für weitere Innovationen hinsichtlich einer künftig ressourceneffizienteren Produktgestaltung.