Der Grammsee - Zurück zur Natur
Gudrun Plambeck

Zur Vorgeschichte

Seit 1979 gibt es ein bundesweites Förderprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit, dessen Ziel die Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung ist. Eines dieser Gebiete ist die Schaalseelandschaft, in der auch der Grammsee liegt. Das Projektgebiet umfaßt 304 Quadratkilometer und erstreckt sich über die drei Landkreise Nordwestmecklenburg, Ludwiglust und Herzogtum Lauenburg. Der schleswig-holsteinische Teil umfaßt die Lauenburgischen Seen, einen strukturreichen, charakteristischen Landschaftsabschnitt. Um die nahezu vollständige Biotopabfolge der Seeökosysteme mit ihren Ufer- und Verlandungszonen zu schützen, wurden der Grammsee und Umgebung Ende 1994 als Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Die Seen des Herzogtums Lauenburg entstanden nach der letzten Vereisung Norddeutschlands. Der Grammsee ist ein Mischtyp zwischen Grundmoränen- und Stausee. Er liegt im West- mecklenburgischen Seenhügelland östlich von Ratzeburg, in der Nähe der Ortschaft Mustin. Der See entwässert über einen kleinen am Nordufer gelegenen Graben in den Lankower See. Dieser steht über den Mechower und Ratzeburger See mit der oberen Wakenitz in Verbindung.

Das Seebecken hat eine flache trichterförmige Gestalt. Die größte Tiefe von 6,6 Meter liegt fast genau in der Mitte, nördlich einer kleinen Landzunge. Sein Einzugsgebiet ist im Verhältnis zu Seefläche und -volumen mäßig groß. Am Südufer gibt es weite Bereiche mit Niedermoorböden. Der Waldanteil ist mit 50 Prozent der Einzugsgebietsfläche für Schleswig-Holstein sehr hoch. 37 Prozent werden landwirtschaftlich genutzt, vier Prozent sind versiegelt.

Der 14 Hektar große Grammsee und seine umgebenden Niederungen liegen als Feuchtgebiete relativ isoliert zwischen den ausgedehnten Waldflächen des Kreisforstes Farchau im Westen, Ackerflächen im Osten und dem abschüssigen ehemaligen Grenzstreifen mit Trocken- und Magerstandorten im Norden. Der Grammsee ist wegen des fast durchgehenden Schilfgürtels und der angrenzenden, naturnahen Waldgebiete besonders attraktiv für Vögel. Hier brüten Arten des Röhrichts wie Rohrdommel, Rohrweihe, Teichrohrsänger, Rohrammer und Zwergtaucher, der Feuchtwälder wie der Pirol und der Naßbrachen wie Schlagschwirl und Sprosser. Auch für Rastvögel hat der See eine große Bedeutung.

Warum wurde der See untersucht?

Die Fachleute des LANU untersuchten den Grammsee 1995 im Rahmen des Seenprogramms. Da auf den Entwicklungsraum relativ geringe, negative Randeffekte einwirken, ist dieser See als Modellgewässer ausgewählt worden. Es wird überprüft, ob er mit geringem Aufwand wieder in seinen potentiell natürlichen Zustand zurückgeführt werden kann. Ende 1995 wurde im Zuge der Naturschutzgebiets-Ausweisung die Fischbewirtschaftung eingestellt. Das Landwirtschaftsministerium regte an, die weitere Entwicklung des Sees zu beobachten. Die Frage, ob der Fischbestand des Grammsees ohne Hege aus der Balance gerät oder ob sich ein stabiler, naturnaher Fischbestand etablieren kann, wird sehr kontrovers diskutiert. Voraussetzung dafür ist, daß die natürlicherweise in dem Gewässer vorkommenden Arten noch vorhanden sind. Außerdem muß ausgeschlossen sein, daß nicht heimische Arten, die sich im See fortpflanzen, heimische Arten verdrängen können. Deshalb erfaßten die Experten nicht nur die chemisch-physikalischen und biologischen Meßgrößen wie beispielsweise Sauerstoffgehalt, pH-Wert, Temperatur, Nährstoffgehalt, Pflanzen oder Kleinstlebewesen des Sees. Sie bestimmten auch das Artenspektrum und den Zustand des Fischbestandes.

Die aktuelle Situation

Natürlicherweise, das heißt ohne menschliche Einflüsse, ist der Grammsee ein mesotropher See. Das bedeutet, er wäre relativ nährstoffarm. Mittlerweile ist er wegen der Phosphor- und Chlorophyll a-Konzentrationen sowie der Sichttiefe als eutroph, nährstoffreich, einzustufen. Bei der Bilanzierung der Nährstoffeinträge ergab sich folgendes Bild: Es gelangen jährlich über 50 Kilogramm Phosphor in den See; bezogen auf die Seefläche sind das im Jahr 0,4 Gramm Phosphor pro Quadratmeter. Dies entspricht der Belastung eines eutrophen Sees. Fast zwei Drittel stammen aus der Landwirtschaft. Um den See wieder in seinen natürlichen mesotrophen Zustand zurückzuführen, müßte die Phosphor-Fracht halbiert werden. Die Sauerstoffverhältnisse in der Tiefe zeigen, daß ein Ungleichgewicht zwischen Produktion und Abbau besteht. Auch die Zusammensetzung der Benthonfauna, das ist die Tierwelt am Gewässerboden, weist darauf hin, daß in der Tiefenzone des Sees nur noch anspruchslose Tiere vorkommen. Die gut entwickelten Röhrichte, Großseggenrieder, Schwimmblatt- gesellschaften und Bruchwäldern sind jedoch naturnahe Biotoptypen des Grammsees.

Mit Hilfe der Elektrofischerei wurden zehn heimischen Fischarten nachgewiesen. Für einen kleinen eutrophen See wie dem Grammsee kann das vorgefundene Artenspektrum als typisch angesehen werden. Für Schleswig-Holstein ist aus fisch- ökologischer Sicht das Vorkommen von Moderlieschen, Steinbeißer, Quappe und Hecht besonders wertvoll.

Hechte und Moderlieschen bilden im See große natürliche Bestände mit Alt- und Jungfischen. Steinbeißer und Quappe scheinen hingegen nur kleine Vorkommen zu haben. Vermutlich vermehren sich jedoch beide Arten natürlich. Es ist un- wahrscheinlich, daß die gefangenen Fische vom früheren Fischerei-Pächter eingesetzt wurden. Schleie, Rotfeder, Plötze und Barsch vermehren sich ausreichend im Grammsee. Die Situation des Aales ist unklar. Theoretisch ist ein Aufstieg von Aalen aus der Ostsee über Trave und Wakenitz möglich. Allerdings behindern die vorhandenen Wanderhindernisse - wie Wehre - einen natürlichen Aufstieg stark. Deshalb ist zu vermuten, daß die Aale vom ehemaligen Fischerei-Pächter eingesetzt wurden.

Insgesamt zeigt der Fischbestand des Grammsees zwar noch deutliche Spuren der fischereilichen Bewirtschaftung. Er ist aber artenreich und nicht durch standortfremde Fische verfälscht. Er hat damit äußerst günstige Voraussetzungen, sich ohne Eingriffe von außen zu regenerieren. Der unverhältnismäßig hohe Aalbestand wird im Laufe der nächsten Jahre durch Abwanderung der geschlechtsreifen Tiere zurückgehen. Der gute Bestand an Raubfischen wie Hecht und Barsch gewährleistet, daß sich der Fischbestand rasch auf einem natürlichen Niveau stabilisiert. Der Hechtbestand ist für die anderen Fischarten des Sees keine Existenzbedrohung, denn die Zahl der Hechte wird durch die Zahl ihrer Beutetiere bestimmt. Junghechte werden rasch durch Kannibalismus reduziert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LANU werden mit großem Interesse die weitere Entwicklung des Fischbestandes beobachten.

Die Voraussetzungen für eine naturnahe Entwicklung sind am Grammsee jetzt geschaffen.

Grammsee
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Wie geht es weiter?

Es wurden bereits wichtige Schritte zum Schutz des Grammsees unternommen. Das Abwasser wird mittlerweile außerhalb des Einzugsgebietes entsorgt. Durch die Ausweisung des Grammsees als Naturschutzgebiet ist unter anderem sichergestellt, daß die Uferflächen nicht mehr ackerbaulich genutzt werden. Noch besser wäre es, die abschüssigen Flächen am Ostufer mindestens bis zur 40 Meter Höhenlinie als breite Pufferstreifen der natürlichen Sukzession zu überlassen. Flächenankäufe, die durch das Bundesprojekt "Schaalsee-Landschaft" möglich werden, können die nutzungsbedingten negativen Einflüsse auf den See auch außerhalb des Naturschutzgebietes verringern. Derzeit werden die angrenzenden Niedermoorflächen wiedervernäßt. So wurde unter anderem der Seewasserstand durch Einbau einer Sohlschwelle am Ablauf angehoben, um die Erlenbruchwälder in den Niederungs- bereichen zu schützen und die Nährstoffausträge aus der Fläche zu reduzieren.

Das Ziel, den Grammsee wieder in einen natürlichen mesotrophen Zustand zurückzuführen ist aufgrund der internen Düngung aus dem Sediment in absehbarer Zeit nicht zu erreichen. Die Voraussetzungen für eine naturnahe Entwicklung dieses ökologisch wertvollen Sees mit seiner typischen Flora und Fauna sind jetzt jedoch geschaffen.