Der Geotopschutz - nachhaltige Bewahrung der natürlichen Landschaft
Dr. Peter-Helmut Ross

Nach Übereinkunft der geologischen Dienste der deutschen Bundesländer werden geologische Einzelschöpfungen der Natur, aber auch größere Landschaftsteile mit besonderer erdgeschicht- licher Bedeutung seit 1996 als Geotope bezeichnet. Bis dahin wurden sie in Deutschland teilweise als Natur- oder Bodendenkmäler unter Schutz gestellt. Der Drachenfels ist seit 1836 Deutschlands ältestes Naturdenkmal.

Schleswig-Holsteinische Beispiele sind das Klev von St. Michaelisdonn-Burg (Dithmarschen), die Binnendünen von Süderlügum (Nordfriesland), das Morsum-Kliff auf Sylt (Nordfriesland), der Graswarder in Heiligenhafen (Ostholstein), die Küsten von Johannisthal und Heiligenhafen (Ostholstein), der Lummenfelsen und die Lange Anna auf Helgoland (Pinneberg), die Oser von Schülp (Rendsburg-Eckernförde) und Süderbrarup (Schleswig-Flensburg) sowie das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal (Stormarn). Diese Objekte sind unmittelbare Ergebnisse der eiszeitlichen Entwicklungsgeschichte unserer Heimat. Für eine erdwissenschaftliche Begründung ihrer Unterschutzstellung gibt es bislang keine gesetzlichen Ausführungen. Die Lange Anna auf Helgoland ist beispielsweise unbestritten ein einzigartiger Brutfelsen für Lummen und Möwen, also ein biologisches Schutzobjekt. In ihrer Substanz ist sie aber ein durch geologische Kräfte entstandener Einzelfelsen (Monolith). Der Felsen betont in ganz charakteristischer Weise die Einzigartigkeit der Insel wirkungsvoll und ist alljährlich das Ziel vieler Helgoland-Besucher. Im Interesse einer integrierten, alle Wissenszweige der Natur umfassenden Begründung der Schutzmotivation, müssen daher in Zukunft die erdwissenschaftlichen gleichrangig behandelt werden.

Der weiterhin rasante Landschaftsverbrauch durch Siedlungsbau, Verkehrsstraßen, Flugplätze, sonstige Überbauungen und der rasche Anstieg des Rohstoffverbrauches in den vergangenen Jahrzehnten zeigt, daß wir uns im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen entziehen. Viele Geotope sind bereits dem Menschen zum Opfer gefallen oder unmittelbar in ihrem Bestand gefährdet. Der Schutz der Geotope ist deshalb so wichtig, weil sie Teil des erdgeschichtlichen Naturerbes unseres Planeten sind. In der Regel sind sie unersetzlich und daher auch mit großem Aufwand nur in Einzelfällen wiederherstellbar. Wenn wir unseren Nachkommen zumindest einen Teil der natürlichen Landschaft Schleswig-Holsteins erhalten wollen, besteht an der Erhaltung und Pflege bedeutender Geotope neben dem wissenschaftlichen auch ein öffentliches Interesse.

Erdwissenschaftliche Objekte vermitteln Erkenntnisse über die Entwicklung, Aufbau und Eigenschaften der Erdkruste, repräsentieren den landschaftsprägenden Formenschatz und bieten zugleich bedrohten Tieren und Pflanzen einen Lebensraum. Ihre Erhaltung ist daher nicht nur für Geowissenschaftler, sondern auch für Artenschützer ein besonderes Anliegen.

Seit 1996 gibt es eine Arbeitsanleitung Geotopschutz in Deutschland, die gemeinsam von den Geologischen Landesämtern erarbeitet wurde. Die Notwendigkeit eines Geotopschutzes ist in Schleswig-Holstein schon früher erkannt worden. 1991 hat das Geologische Landesamt eine Karte der geowissenschaftlich schützenswerten Objekte (GeoschOb) in Schleswig-Holstein im Maßstab 1: 250 000 herausgegeben. In dieser Karte sind alle bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Objekte verzeichnet. Ein Erläuterungsheft gibt weitere geowissenschaftliche Informationen.

Schleswig-Holstein ist eines der wenigen Länder Deutschlands, das in den Landschaftsrahmenplänen alle schützenswerten geologisch-geomorphologischen Objekte auflistet und in Karten abbildet. Sie sind damit für die Landesplanung ein wichtiger Beitrag zum Schutz unserer Landschaft und Umwelt. Mit der Arbeitsanleitung Geotopschutz ist es in Deutschland nun zum ersten Mal möglich, ein länderübergreifendes, abgestimmtes Konzept zur Vorgehensweise beim Geotopschutz durchzuführen. In den einzelnen Bundesländern dient die Arbeitsanleitung in erster Linie der Beratung der Naturschutzbehörden, daneben aber auch denjenigen Unternehmen oder Institutionen, die Eingriffe in die Natur und die Landschaft planen.

Grundlagen jeder erfolgreichen wissenschaftlichen Arbeit sind eindeutige und klare Definitionen. Im deutschen Sprachgebrauch existierte bislang kein eindeutiger und allgemein anerkannter Fachausdruck für die Beschreibung und Definition besonderer geowissenschaftlicher Objekte. Sie wurde erforderlich, weil in der staatlichen Verwaltung, in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit die Diskussion über den Erhalt und gesetzlichen Schutz von Geotopen deutlich zugenommen hat. Von der Arbeitsgruppe Geotopschutz wurden folgende Definitionen erarbeitet:

Geotope sind erdgeschichtliche Bildungen der unbelebten Natur, die Erkenntnisse über die Entwicklung der Erde oder des Lebens vermitteln. Sie umfassen Aufschlüsse von Gesteinen, Böden, Mineralien und Fossilien sowie einzelne Naturschöpfungen oder natürliche Landschaftsteile.

Schutzwürdig sind diejenigen Geotope, die sich durch ihre besondere erdgeschichtliche Bedeutung, Seltenheit, Eigenart oder Schönheit auszeichnen. Für Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie für Natur- und Heimatkunde sind sie von besonderem Wert. Sie können insbesondere dann, wenn sie gefährdet sind und vergleichbare Geotope zum Ausgleich nicht zur Verfügung stehen, eines rechtlichen Schutzes bedürfen.

Die Arbeitsanleitung Geotopschutz ist für den unmittelbaren praktischen Gebrauch gedacht. Als Anhaltspunkte für die Erfassung von Geotopen im Gelände dient eine im Anhang der Arbeitsanleitung aufgeführte Zusammenstellung der erdgeschichtlichen Bildungen. Sie wurden in drei Hauptgruppen eingeteilt: Aufschlüsse, Formen und Quellen. Kurzerläuterungen, die weniger für den Geowissenschaftler als vielmehr für die ausführenden Naturschutzbehörden und die interessierte Öffentlichkeit gedacht sind, sind beigefügt.

Natürliche Aufschlüsse sind Freilegungen von Gesteinen und Böden, die durch natürliche Prozesse entstanden. Dazu gehören zum Beispiel Hanganrisse, Felswände, Prallhänge und Kliffs. Künstliche, von Menschen geschaffene Aufschlüssen sind Steinbrüche, Ton-, Sand- und Kiesgruben, künstliche Böschungen, Baugruben oder Stollen.

Zu den Formen zählen alle Landschaftsformen und Bildungen an der Erdoberfläche, die durch natürliche Vorgänge entstanden sind beziehungsweise im Verlauf der Erdgeschichte verändert wurden.

Quellen sind örtlich begrenzte Grundwasseraustritte. Sie können natürlich oder durch Einwirkung der Menschen entstanden sein.

Ziel des Geotopschutzes in jedem Land muß es sein, diejenigen aussagekräftigen Geotope auszuwählen, die einen generellen Überblick über den geologischen Bau und die erdgeschichtliche Entwicklung ermöglichen. Da Schleswig-Holstein seine Landschaftsprägung fast ausschließlich während der Eiszeit erhalten hat, zählen vor allem die für unser Land so charakteris- tischen eiszeitlichen Landschaftsformen zu den erhaltenswerten Geotopen. Ins Auge fallen vor allem die typischen Moränenwälle (Stauch- beziehungsweise Endmoränen) wie die Duvenstedter Berge (Rendsburg-Eckernförde) oder der Bungsberg (Ostholstein). Zu diesen Vollformen gehören auch die nur noch selten erhaltenen Wallberge (Oser) und die sogenannten Tunneltäler. Letztere sind durch Erosion entstandene Hohlformen, die unter dem Gletschereis entstanden. Hierzu gehören beispielsweise das Stellmoor- Ahrensburger Tunneltal (Stormarn) oder die Schlei (Schleswig- Flensburg).

Da Schleswig-Holstein größtenteils von mächtigen eiszeitlichen Lockersedimenten wie Geschiebemergel, Sand, Ton, oder an der Westküste von holozänen Meeres- oder Flußsedimenten bedeckt ist, sind natürliche Aufschlüsse vor allem im Felsgestein sehr selten. Schon aufgrund ihrer Seltenheit sind sie daher besonders schützenswert, wie der Kalkberg von Bad Segeberg (Segeberg), der Buntsandstein der Insel Helgoland (Pinneberg) oder die zwischeneiszeitlichen Torfe im Elbtalsteilhang bei Lauenburg (Herzogtum Lauenburg). Sehr wichtig für die Erdgeschichte sind auch die künstlichen Aufschlüsse, wie die international bekannte Kalkgrube von Lieth bei Elmshorn (Pinneberg) oder die eindrucksvollen, großen Kreidegruben-Aufschlüsse von Lägerdorf und Kronsmoor bei Itzehoe (Steinburg).

Erosionskliff Dummersdorfer Ufer bei Lübeck - zugleich Geotop und Biotop

Erosionskliff Dummersdorfer Ufer
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Seit 1980 haben Geologen etwa 365 Geotope in Schleswig-Holstein in einer ersten Übersichtserhebung beschrieben. Sie werden in einem Erfassungsbeleg, der von der Arbeitsgemeinschaft Geotopschutz entworfen wurde dokumentiert und in einem Kataster zusammengefaßt. In diesem Erfassungsbeleg werden zunächst alle verfügbaren Daten, wie Raumbezug, geologische Beschreibung, Größe, Eigentümer, Erreichbarkeit, Nutzung, Zustand und weitere Anlagen zusammengetragen. Aus der Gesamtheit dieser Objekte wird eine Auswahl getroffen, die in einem weiteren Arbeitsschritt im Detail bearbeitet wird.

Danach erfolgt eine fachliche Bewertung des Geotopes. Diese Bewertung wird in zwei Stufen durchgeführt. Zunächst wird der geowissenschaftliche Wert auf der Grundlage fachspezifischer und statistischer Kriterien ermittelt. Darunter ist der Informationsgehalt des Geotopes für die unterschiedlichen Fachbereiche der Geowissenschaften wie für die Eiszeitforschung, die Hydrogeologie, Morphologie/Landschaftsgeschichte, Paläontologie, Stratigraphie oder die Strukturgeologie zu verstehen. Ein Geotop ist daher umso wertvoller, je mehr Fachbereichsaussagen in ihm enthalten sind.

Anschließend wird die Schutzbedürftigkeit ermittelt; sie ergibt sich in erster Linie anhand der akuten Gefährdungssituation. Hierzu zählt beispielsweise die Lage in einem Naturschutzgebiet (wenig oder nicht gefährdet) oder in einem ausgewiesenen Rohstoffabbaugebiet (gefährdet).

Aus der Beurteilung der Schutzbedürftigkeit ergibt sich der weitere Handlungsbedarf für die Umsetzung des Bewertungsergebnisses, die Empfehlungen und fachlichen Vorgaben zur Unterschutzstellung oder eine planerische Sicherung umfaßt und Angaben, welche Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen erforderlich sind.

Mit der für alle Länder abgestimmten Formulierung der Bewertungskriterien wurde erreicht, daß in der gesamten Bundesrepublik zukünftig bei den geologischen Diensten nach gleichen Maßstäben verfahren wird.

Schutzmaßnahmen sind alle Maßnahmen, die den Bestand eines Geotops sicherstellen und einen gefahrlosen Besuch ermöglichen. Bestandsschützende Maßnahmen sind in erster Linie naturschutzrechtliche Verfahren, aber auch käuflicher Erwerb, Patenschaften oder ähnliches.

In Schleswig-Holstein ist im Landesnaturschutzgesetz vom 16. Juni 1993 im Abschnitt I, Allgemeine Vorschriften, unter (2), weitere Grundsätze in Nr. 19 festgelegt: "Landschaften oder Landschaftsteile mit erdgeschichtlich bedeutsamen geologischen und geomorphologischen Erscheinungsformen sind zu erhalten."

Für einige Objekte können die Geologen auf die Schutz- bestimmungen für die Biotope zurückgreifen. In Paragraph 15 a des Landesnaturschutzgesetzes werden unter gesetzlich geschützten Biotopen auch einige Geotope aufgeführt, wie Moore, Quellbereiche, Wattflächen, Priele, Sandbänke, Bachschluchten, Strandwälle und Steilhänge im Binnenland. An diesen Beispielen wird besonders deutlich, wie eng die Geotope mit den Biotopen verzahnt sind.

Wie mühsam die Unterschutzstellung in der Praxis ist, zeigt das Beispiel der Kalkgrube Lieth bei Elmshorn (Pinneberg): Aus geologischer Sicht ist dies das wertvollste Geotop des Permaufschlusses. Dennoch vergingen von den ersten Anregungen zur Unterschutzstellung durch Geologen bis zur endgültigen Schutzverordnung im Jahr 1991 etwa zehn Jahre.

Während dieser Zeit bestand die ständige Gefahr, daß die inzwischen aufgelassene Grube als Mülldeponie verwendet werden könnte. Die Kalkgrube entstand beim Abbau von Düngekalken seit den 30er Jahren. Hier kommt nicht nur das älteste, etwa 230 Millionen Jahre alte (permischen) Gestein Schleswig-Holsteins vor, sondern auch eine lückenlose Abfolge frühpleistozäner Braunkohlen mit einem Alter von 1,8 - 2,5 Millionen Jahren. Deshalb hat diese Grube den Rang eines Geotopes von europäischer Bedeutung erlangt. Die Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen für diese Grube bestehen in erster Linie aus einem Abpumpen des Grundwassers, das ohne Wasserhaltung fast bis zur Oberfläche reichen würde. Betriebskosten und Wartung der Anlage hat dankenswerterweise die Gemeinde Klein-Nordende übernommen.

Die Grube selbst ist in vorbildlicher Weise durch einen Besucherlehrpfad erschlossen. Große Schautafeln weisen auf die geologische und biologische Bedeutung der aufgelassenen Grube mit ihren besonderen Kalkstandorten hin.

Weitere Erfolge konnten die Geologen durch die Unterschutz- stellung einer aufgelassenen Kiesgrube bei Böxlund (Schleswig-Flensburg) und die Errichtung eines Findling-Lehrgartens in Kreuzfeld bei Malente (Ostholstein) erzielen.

In Böxlund ist der durch eine zwischenzeitliche Bodenbildung wertvolle Teil einer Grubenwand geschützt worden. In Kreuzfeld konnte dank des Entgegenkommens des Kiesunternehmers einer der größten Findlinge Schleswig-Holsteins mit einem Gewicht von 126 Tonnen vor einer Schotterzerkleinerung gerettet werden. Umgeben von vielen kleineren Findlingen, die in übersichtlicher Weise nach Gesteinsarten sortiert sind, wurde der Findling nicht weit von seinem Fundort in der Kiesgrube aufgestellt. Er ist ebenfalls durch einen Besucherlehrpfad zu erreichen, wobei Schautafeln nähere Erläuterungen zur Entstehung und Herkunft geben.

Diese wenigen positiven Beispiele können aber nicht verbergen, daß das Ziel eines generellen gesetzlichen Schutzes von Geotopen - so wie es bei Biotopen im Lande geregelt ist - noch nicht erreicht ist. Hilfreich wären hierbei in den Bundes- und Landesgesetzgebungen eindeutige Aussagen zum dringend notwendigen Geotopschutz.

Die Öffentlichkeit ist in zunehmendem Maße an natur- wissenschaftlichen Themen interessiert. Das zeigen beispielsweise die hohen Besucherzahlen der Segeberger Kalkberghöhle. Der Findlingsgarten von Kreuzfeld liegt günstig zum Kurbad Malente und wird gern als willkommene Abwechslung zu Kneipp-Güssen besucht. Generell stehen also die Chancen der Geologen gar nicht so schlecht, durch den Geotopschutz etwas für den Landschaftserhalt zu erreichen. Die tägliche Praxis zeigt aber, daß eine zügige Weiterarbeit auf diesem Gebiet ohne gesetzliche Vorgaben - wie bei den Biotopen - noch nicht gewährleistet ist. Wir sollten das bisher Erreichte deswegen aber nicht in Frage stellen, sondern an der Verbesserung der notwendigen Rahmenbedingungen weiter arbeiten.