Wenn Bürger ihre Rechte suchen
Jochen Brumloop

Meinungsstreit zwischen Bürger und Naturschutzbehörde

Nicht selten kommt es im Naturschutz - wie in anderen Verwaltungsbereichen auch - zu einem Meinungsstreit zwischen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und einer Behörde. Scheitert der Versuch einer Einigung, muß dieser Streit in einem Widerspruchsverfahren und nicht selten in einem anschließenden Klageverfahren entschieden werden. Nach der gesetzlichen Regelung der Verwaltungsgerichtsordnung und dem Landesnaturschutzgesetz entscheidet das Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein (LANU) als obere Naturschutzbehörde landesweit über sämtliche Widersprüche auf dem Gebiet des Naturschutzes. Hierbei geht es überwiegend um Entscheidungen der unteren Naturschutzbehörden, die von Bürgerinnen und Bürgern angefochten werden.

Die Zusammenstellung aus dem Jahre 1991 bis 1995 zeigt, wie viele Widerspruchsverfahren es gab, um welche Streitgegenstände es dabei ging und wie hierüber entschieden worden ist. In diesem Zeitraum gab es jährlich etwa 215 Verfahren. Die Verfahren aus den Jahren 1996 und 1997 - die übrigens mit 179 und 165 Fällen deutlich niedriger als in den Vorjahren lagen - sind noch nicht alle rechtsgültig abgeschlossen. Sie werden deshalb nicht in der Tabelle berücksichtigt.

Nicht jeder Widerspruch ist erfolglos. Die Übersicht zeigt, daß in etwa 30 Prozent der Fälle eine andere und für die Betroffenen günstigere Entscheidung möglich ist. So kann die Untere Naturschutzbehörde ihre Entscheidung im laufenden Verfahren zugunsten des Widerspruchsführers noch abändern und dem Widerspruch abhelfen. Zum Beispiel ist es möglich, daß ein zunächst abgelehnter Knickrodungsantrag genehmigt wird, nachdem sich die Verfahrensbeteiligten einvernehmlich auf bestimmte Ausgleichsmaßnahmen geeinigt haben. Einige Fälle bedürfen vor einer Widerspruchsentscheidung noch einer Überprüfung seitens der Ausgangsbehörde, weil zum Beispiel noch grundsätzliche Verfahrens- oder Zuständigkeitsfragen zu klären sind. Dann kann die Einstellung des Verfahrens das Ergebnis sein. In den Verhandlungen mit den Widerspruchsführern wird gelegentlich durch Überzeugungsarbeit der Naturschutzbehörde erreicht, daß die Betroffenen ihren Widerspruch zurücknehmen. Ist keine einvernehmliche Regelung möglich, muß die Widerspruchs- behörde abschließend entscheiden. Der Regelfall ist dann die Zurückweisung des Widerspruchs.

Zusammenstellung nach Sachgebieten aus den Jahren 1991 bis 1995.

Zusammenstellung nach Sachgebieten 1991-1995

Angelegenheit

Anzahl

zurückgegeben an die Untere Naturschutzbehörde

Widerspruch zurückgenommen

abgeholfen durch die Untere Naturschutzbehörde

Entscheidung des Landesamtes

                 

stattgegeben

teilweise stattgegeben

zurückgewiesen

Bauliche Anlagen

150

6

11

7

2

2

122

Abgrabungen, Aufschüttungen

115

8

7

3

1

5

91

Knicks

92

2

3

9

3

3

72

Bodenabbau

79

3

7

6

1

3

59

Grünflächen, Bäume

73

4

8

10

-

1

50

Gebühren, Kosten

68

2

3

3

4

1

55

Zelt- und Campingplätze

58

1

4

3

1

-

49

Moore, Sümpfe, Brüche

49

1

4

6

-

1

37

Bootsliegeplätze, Sportboothäfen

46

-

2

2

-

-

42

Sonstige geschützte Biotope

45

2

3

3

1

1

35

Gewässer

43

1

7

4

-

3

28

Freizeit, Betreten der Landschaft

38

1

2

-

-

-

35

Artenschutz

25

-

4

3

2

-

16

Zelten außerhalb von Zeltplätzen

18

-

2

1

1

1

13

Tiergehege

11

-

3

1

1

-

6

Schutzverordnungen

5

-

-

1

-

-

4

Gesamt

915

31

70

62

17

21

714

Anteile in Prozent

100

3,4

7,6

6,8

1,9

2,3

78,0

Es ist festzustellen, daß es bei den Widerspruchsverfahren immer wieder zur Verschiebung einzelner Schwerpunktbereiche kommt. Einige aktuelle Besonderheiten sollen daher kurz erwähnt und analysiert werden.

Bodenabbau

Ein deutlicher Arbeitsschwerpunkt in den Jahren 1974 bis 1994 war der Kiesabbau. Ab 1973 galt eine völlig neue Rechtslage für den Bodenabbau. Bis dahin mußten Abbauvorhaben nur der Baubehörde gemeldet werden. Wichtige Fragen der Rekultivierung wurden oft nicht berücksichtigt. Dies änderte sich 1973 als eine naturschutzrechtliche Genehmigungspflicht mit einem umfassenden Genehmigungsverfahren die allgemeine Anzeigepflicht ablöste. Bei zahlreichen nicht ordnungsgemäß abgeschlossenen oder noch laufenden Abbauvorhaben mußte die zuständige untere Landschaftspflegebehörde durch Einzelentscheidungen sicherstellen, daß für diese Eingriffe in die Natur nach der neuen Rechtslage ein ordnungsgemäßer Ausgleich geschaffen wird. Dies hat verständlicherweise zahlreiche Widerspruchsverfahren ausgelöst, zumal die Betreiber von Kiesgruben derartigen Restriktionen zuvor nicht unterworfen waren.

Heute sind die unteren Naturschutzbehörde für die Genehmigungen zuständig. Durch die naturschutzrechtlichen Vorgaben können sie einen genehmigten Bodenabbau mit entsprechenden Auflagen von vornherein in die richtige Richtung lenken oder sie entscheiden, ob der vorgesehene Standort aus naturschutzrechtlicher Sicht für einen Abbau überhaupt in Frage kommt. Diese gesetzlichen Vorgaben schaffen Klarheit und werden zunehmend anerkannt. So ist beim Bodenabbau seit 1995 ein deutlicher Rückgang bei den Widerspruchsverfahren zu beobachten. Inzwischen haben viele Gemeinden mit ihren Planungsinstrumenten, wie zum Beispiel dem Landschaftsplan, deutliche Vorgaben geschaffen und für ihr Gemeindegebiet eine Abbauplanung festgelegt.

Gelegentlich mußte auch über Nachbarwidersprüche entschieden werden, wenn sich beispielsweise Anlieger durch einen genehmigten Kiesabbau in ihren Nachbarrechten verletzt fühlten. In einigen Fällen wurden durch gezielte Einrichtungen Lärm- und Staubimmissionen verringert oder die Abbaugrenzen verlagert.

Geschützte Biotope

Schleswig-Holstein führte als erstes Bundesland einen wirkungsvollen gesetzlichen Biotopschutz ein. 1973 erhielten die Moore, Sümpfe und Brüche, 1982 Heiden, Dünen und Trockenrasen einen besonderen gesetzlichen Schutz. Heute werden nach dem Landesnaturschutzgesetz 31 verschiedene Biotoptypen geschützt. Bis auf wenige Ausnahmen sind dies ungenutzte Bereiche. Dennoch gibt es Ansprüche, die sich mit dem gesetzlichen Biotopschutz nicht vereinbaren lassen. So wurden in einigen Fällen beispielsweise für Baggerseen oder Steilhänge an Binnenseen, die Nutzung verboten. Dies betraf wirtschaftlich nicht nutzbare und deshalb günstig erworbene Flächen, die als Freizeitgelände hergerichtet werden sollten. 1997 gab es dazu 29 Widerspruchsverfahren, das sind annähernd 20 Prozent. In erster Linie betreffen diese Fälle Erholungs- und Bauinteressen. Nur im Ausnahmefall geht es bei diesen Streitverfahren um landwirtschaftliche Nutzungsansprüche. Der vielfach geäußerte Vorwurf, die Landwirtschaft sei von dem strengen Biotopschutz besonders betroffen, ist damit entkräftet.

Unzulässiger Uferverbau auf privatem Seegrundstück (geschützter Biotop)

unzulässiger Uferverbau
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Bootsliegeplätze

Rechtsfragen über die Zulässigkeit von Bootsliegeplätzen sind vor allem in den letzten drei bis vier Jahren lebhaft und kontrovers diskutiert worden. Bereits seit 1982 gibt es eindeutige Regelungen, nach denen Einzelliegeplätze grundsätzlich nicht mehr zulässig sind. Bootsliegeplätze sind in Gemeinschaftsanlagen zu konzentrieren. Diese zugegebenermaßen restriktive, bundesweit aber beispielhafte und dem Naturschutz außerordentlich förderliche Regelung hat zu zahlreichen Widerspruchsverfahren geführt. Erst als sich eine eindeutige Rechtsprechung entwickelt hatte und die Klagen der Stegbesitzer abgewiesen wurden, gab es heftige Proteste aus der zwischenzeitlich gegründeten Initiative der "SHESU" (Schleswig-Holsteinische Schutzgemeinschaft zur Erhaltung der Seenlandschaft und Uferregionen e.V.). Aufgrund dieser Proteste zögerten die zuständigen unteren Naturschutz- behörden in den letzten Jahren mit Entscheidungen über den Abriß von Einzelstegen. Bislang wurde die über 15-jährige Rechtsgrundlage nur ansatzweise umgesetzt. Ein Stegkonzept des Umweltministeriums vervollständigte zwischenzeitlich die Regelung. Dieses Konzept wird umgesetzt, so daß auch in den nächsten Jahren mit Widerspruchsverfahren in diesem Bereich zu rechnen ist.

Die naturschutzrechtlichen Regelungen für Bootsliegeplätze verbieten nicht grundsätzlich Liegeplätze. Vielmehr sollen gemeinschaftlich genutzten Anlagen an geeigneten Standorten geschaffen werden, um die übrigen und meist schutzwürdigen Uferbereiche freizuhalten. Hier haben vor allem die Gemeinden die Chance, die Erfordernisse und Möglichkeiten einer Erholungs- nutzung am und auf dem Gewässer in ihren Planungen, zum Beispiel im Landschaftsplan, darzustellen.

Bauliche Anlagen

In den letzten Jahren gab es erstaunlich viele Widerspruchs- verfahren, die sich mit baulichen Anlagen befassen. 1997 waren es 21 Verfahren, in den Jahren davor mitunter über 50. Die untere Naturschutzbehörde hat im baurechtlichen Verfahren keine eigene Entscheidungskompetenz. Die Baubehörde muß sie nur beteiligen, um sie anzuhören beziehungsweise ihre Zustimmung einzuholen. Die naturschutzrechtlichen Widerspruchsverfahren gehen deshalb auf besondere Schutzvorschriften zurück. Zum Beispiel ist für bauliche Anlagen in einem Landschaftsschutzgebiet neben der Baugenehmigung eine gesonderte naturschutzrechtliche Genehmigung erforderlich. Andere Fälle betreffen Bauanlagen, die keine Baugenehmigungen brauchen aber nach dem Landesnaturschutzgesetz einer Genehmigungspflicht unterliegen. Das sind beispielsweise Zäune oder Hochspannungsleitungen, die wiederholt zu naturschutzrechtlichen Widerspruchsverfahren geführt haben.

Knicks, Bäume, Artenschutz und anderes

Ein Blick in die Übersicht zeigt, daß naturschutzrechtliche Widerspruchsverfahren die gesamte und sehr breit gefächerte Palette des Naturschutzrechtes betreffen. Gesetzliche Regelungen zum Schutz der Knicks, Bäume, besonders geschützter Tier- und Pflanzenarten, zum Betreten der Landschaft oder zur Anlage von Zelt-, Camping- und Golfplätzen gehören zur täglichen Arbeit der Naturschutzbehörden und folglich auch der Widerspruchsbehörde.

Bewertung und Ausblick

Die Verwaltungsgerichtsordnung schreibt vor, daß mit einem Widerspruchsverfahren eine angefochtene Behördenentscheidung auf Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit geprüft wird. Diese Verhandlungen müssen vor einer Klage durchgeführt werden und können manchmal Prozesse vermeiden. Die Verfahren werden in der Regel durch die nächst höhere und bisher nicht beteiligte und somit unabhängige und neutrale Behörde abgewickelt. Das Landesamt als obere Naturschutzbehörde nimmt diesen gesetzlichen Auftrag seit 25 Jahren sehr ernst. Dabei koordinieren die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtige Naturschutzfragen landesweit mit dem Ziel, eine landesweit einheitliche Beurteilung gleich gelagerter Sachverhalte zu erreichen. Dies hat eine fachliche Kontinuität der Widerspruchs- entscheidungen zur Folge. Dabei kann das LANU als Widerspruchsbehörde fachlich schwierige Fragen jederzeit in Zusammenarbeit mit den Fachdezernaten des LANU erörtern und klären. Zudem bietet das LANU mit seiner wissenschaftlichen Fachbibliothek, seinen Dokumentationen und sonstigen Daten zur Biotopkartierung, zum Naturschutzbuch, zu CIR-Luftbildern oder zum Biotopverbundsystem gute Voraussetzungen für eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungspraxis.

Auffällig ist, daß die Widerspruchsverfahren nach Inkrafttreten des Landesnaturschutzgesetzes im Jahre 1993 eher rückläufig sind. Der befürchtete Anstieg der Widerspruchsverfahren aufgrund der strengeren Vorschriften des Landesnaturschutzgesetzes ist nicht eingetreten. Anscheinend werden die Regelungen des Naturschutzrechtes von den Bürgerinnen und Bürgern besser akzeptiert, als allgemein in den Medien dargestellt.

Die LANU-Gründung am 1. Januar 1996 und die Einrichtung eines zentralen Rechtsdezernates seit Anfang 1998 ermöglicht eine zügigere Verfahrensabwicklung. Damit wird eine wesentliche Forderung des Leitbildes der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung in die Tat umgesetzt.