Konzept für ein Schutzgebiets- und BiotopverbundsystemsAuf der Basis neuerer Erkenntnisse der Populationsökologie hat sich seit Mitte der siebziger Jahre als Ergänzung der bis dahin verfolgten Schutzgebietskonzeption die Strategie des "Biotopverbundes" entwickelt. Durch den Aufbau naturnaher Biotopkorridore sollten isolierte und für sich alleine nicht überlebensfähige Lebensgemeinschaften naturnaher Biotope räumlich verbunden und auf diese Weise wieder funktional miteinander vernetzt werden.
Diese Idee hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt und umfaßt heute unter dem Begriff "Biotopverbund" die Wiederherstellung komplexer ökologischer Beziehungsgefüge in der Gesamtlandschaft (Biotopverbundsystem im weiteren Sinne). Die Konzeption für ein Schutzgebiets- und Biotopverbundsystem bezieht sich somit nicht alleine auf die naturnahen Elemente der Landschaft, sondern erstreckt sich unter Einschluß der Nutzfläche auf die Gesamtheit der Ökosysteme.
Grundgerüst dieser Konzeption ist ein System aus naturnahen Gebieten, das in Zukunft mindestens 15 Prozent der Landesfläche umfassen soll. Innerhalb dieses Systems sollen noch erhaltene naturnahe Biotopbestände gesichert, erweitert und zu Biotopkomplexen ergänzt werden. Ehemalige Bestände sollen zur Entwicklung eines repräsentativen, alle typischen Lebensräume des Landes umfassenden Systems wiederhergestellt und funktionale Beziehungen zwischen den Einzelgebieten durch räumlichen Verbund ermöglicht werden.
Dieses "Biotopverbundsystem" im engeren Sinne hat seinen gesetzlichen Niederschlag im Landesentwicklungsgrundsätzegesetz und im Landesnaturschutzgesetz (LNatSchG) Schleswig-Holsteins gefunden. Auf europäischer Ebene wird der Biotopverbundkonzeption mit dem Programm "Natura 2000" Rechnung getragen und auf bundesweiter Ebene mit verschiedenen Entschließungen der Raumordnungs-beziehungsweise Umweltministerinnen und -minister.
Neu ist dabei die Absicht, nicht wie bisher lediglich den heutigen Bestand schutzwürdiger naturnaher Biotope, sondern vor allem langfristige Entwicklungsvorhaben des Naturschutzes gegenüber anderen Ansprüchen an den Raum planerisch und rechtlich abzusichern.
Trotz intensiver Bemühungen des Naturschutzes sind nach wie vor rund 50 Prozent der Tier- und Pflanzenarten Schleswig-Holsteins in ihrer Existenz bedroht. Auch die Schutzgüter Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaftsbild sind ernsthaft gefährdet.
Für die Gefährdungssituation der Tier- und Pflanzenarten und die Konzeption von Gegenmaßnahmen ist entscheidend, daß sich die Landschaft Schleswig-Holsteins seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in allen prägenden Faktoren völlig gewandelt hat.
Folge dieser Entwicklung ist die Verminderung des Flächenanteils naturnaher Lebensräume wie auch ökologisch bedeutsamer Kulturbiotope von ehemals annähernd 100 Prozent auf nur noch geringe Anteile des Landes. Hinzu kommt eine Verringerung der ökologischen Qualität, insbesondere aufgrund erheblicher atmosphärischer Stoffeinträge, die die gesamte Landesfläche einschließlich der naturnahen Restflächen trifft.
Damit wurde auch ein ehemals durchgängig verwobenes Gesamtsystem zerrissen. Es bestand aus:
- großflächigen naturbetonten Ökosystemen wie beispielsweise Mooren und Heiden,
- nach heutigen Maßstäben ehemals flächendeckend extensiv genutzten Ökosystemen der Kulturlandschaft wie Äcker, Wiesen und Weiden sowie
- kleineren Biotopen und Habitaten in der Feldflur und im Siedlungsraum.
Von diesem vernetzten Gesamtsystem blieben lediglich isolierte, aus dem Zusammenhang herausgerissene Einzelflächen, deren Artenbestände langfristig nicht überlebens- und evolutionsfähig sind.
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Die Gegenmaßnahmen des Naturschutzes der letzten Jahrzehnte haben hier kaum eine Trendwende bewirkt, da eine planvolle, die ökosystemaren Zusammenhänge berücksichtigende Entwicklungsstrategie aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht durchsetzbar war.
Für die meisten gefährdeten Tier- und Pflanzenarten bestehen somit hinsichtlich des Flächenanteils und der Qualität ihrer angestammten Lebensräume große quantitative und qualitative Defizite. Insbesondere bei Tierarten kommt als Hauptgefährdungsursache die derzeitige Lebensraumverinselung hinzu.
Auch die neuerdings als umfassende Naturschutzstrategie propagierte "nachhaltige Nutzung" der Gesamtfläche kann die Artenschutzprobleme nicht lösen, da ein Großteil der bedrohten Arten auf weitgehend ungestörte Lebensräume und das Ablaufen natürlicher dynamischer Prozesse in der Natur angewiesen ist.
Wissenschaftlich besteht deshalb weitgehend Einigkeit darüber, daß es zum Schutz der Naturgüter einschließlich der Tier- und Pflanzenarten erforderlich sein wird, mindestens 15 bis 20 Prozent der Landesfläche ohne jeglichen Nutzungsdruck alleine unter Naturschutzaspekten zu erhalten beziehungsweise zu entwickeln.
Die naturschutzfachliche Grundlage für dieses Vorhaben auf landesweiter Ebene wird im LANU mit dem Fachbeitrag "Schutzgebiets- und Biotopverbundsystem Schleswig-Holstein" erarbeitet.
Inhalt dieses Fachbeitrages ist die Ermittlung und Darstellung von "Gebieten mit besonderer Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz".
Die Gesamtkonzeption für das Schutzgebiets- und Biotopverbundsystem ist der Gliederung der Landschaftsplanung entsprechend hierarchisch aufgebaut und umfaßt:
- auf landesweiter Ebene ein System aus großräumigen, naturraumtypischen, reich mit naturnahen Elementen ausgestatteten Kulturlandschaften, beispielsweise der Großraum der Eider-Treene-Sorge-Region einschließlich der land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen,
- auf regionaler Ebene ein System aus relativ großflächigen naturbetonten Lebensräumen und Lebensraumkomplexen, wie zum Beispiel die Hoch- und Niedermoore der Eider-Treene-Sorge-Region und
- auf örtlicher Ebene kleinräumige naturnahe und halbnatürliche Elemente zur engmaschigen Durchdringung der Nutzfläche, wie das Graben- und das Knicksystem der Eider-Treene-Sorge-Region.
Das Gesamtsystem kommt durch Überlagerung der verschiedenen Systemebenen zustande.
Die rahmensetzende landesweite Ebene soll insbesondere der Bündelung und Prioritätensetzung für den Einsatz von Fördermitteln für Naturschutz und Landschaftspflege dienen.
Die Inhalte der besonders bedeutsamen regionalen Ebene sind naturschutzfachliche Planungsgrundlagen für die gesetzlich geforderte Ausweisung von "vorrangigen Flächen für den Naturschutz" beziehungsweise "Vorranggebieten für den Naturschutz", die zukünftig im Umfang von mindestens 15 Prozent der Landesfläche in den Plänen der Raumordnung und Landschaftsplanung auszuweisen sind.
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Der Fachbeitrag des LANU ist dabei gemäß § 45b LNatSchG als Planungs- und Entscheidungshilfe aufzufassen. Erst nach Übernahme des Beitrages in die Pläne der Landschaftsplanung und Raumordnung erhält die Schutzgebiets- und Biotopverbundplanung eine rechtliche Verbindlichkeit. Deren Hauptaufgaben liegen:
- in der Koordination von Maßnahmen des flächenhaften Naturschutzes auf landesweiter und regionaler Ebene sowie
- in der Vermeidung beziehungsweise Verminderung von Konflikten zwischen langfristigen Zielen des Naturschutzes und allen anderen raumbeanspruchenden Planungen.
FazitDie Fachbeiträge liegen mittlerweile in Form von Kreiskarten im Maßstab 1 : 50.000 für das gesamte Land vor. In einem allgemeinen Erläuterungstext werden grundsätzliche Inhalte und Ziele des Beitrages beschrieben. Bis Juni 1997 werden dazu ergänzend spezielle Textteile erstellt, die kreis- beziehungsweise naturraumspezifische Leitbilder und Naturschutzziele für die Entwicklung der Einzelgebiete des Schutzgebiets- und Biotopverbundsystems beinhalten.
Die Fachbeiträge können beim LANU angefordert oder bei den unteren Naturschutzbehörden und den Ämtern für Land- und Wasserwirtschaft eingesehen werden.
Mit den Entwürfen des Landesraumordnungsplanes, des Landschaftsprogramms und des Regional- sowie Landschaftsrahmenplanes für den Planungsraum I zeichnet sich ab, daß die Inhalte der Fachbeiträge weitgehend Eingang in der Raumordnung und Landschaftsplanung finden werden.
Die konkrete Umsetzung der Planungsziele soll durch die Ausweisung von Schutzgebieten, den Flächenankauf und den sogenannten Vertragsnaturschutz kombiniert betrieben werden, wobei das Prinzip der Freiwilligkeit und Nutzungsausfallentschädigung hervorgehoben werden muß.
Völlig neue Instrumente zur Umsetzung sind nicht erforderlich. Es geht eher um die Entwicklung einer Gesamtstrategie, die alle bestehenden Instrumente optimal einsetzt und insbesondere auch die Ziele des Boden-, Geotop-, Gewässer- und Klimaschutzes integriert.
Erster, dringlichster und kostenfreier, dabei allerdings besonders konfliktreicher Schritt, ist die planungsrechtliche Absicherung der Flächen des Schutzgebiets- und Biotopverbundsystems als Vorranggebiete für den Naturschutz in den Plänen der Raumordnung. Ansonsten besteht die Gefahr, daß weitere Eingriffe das langfristige Planungsziel mit der Zeit zunichte machen.
Ist die planerische Absicherung erfolgt, können die erforderlichen Maßnahmen des Naturschutzes angegangen werden.